

Die Messegesellschaften Friedrichshafen und Frankfurt setzen mit der fairnamic GmbH auf eine ebenso ungewöhnliche wie wegweisende Kooperation. Aber wie kam es eigentlich dazu? Wir haben mal nachgefragt: Bei den fairnamic-Geschäftsführern Stefan Reisinger und Stefan Mittag (der zugleich auch Prokurist der Messe Friedrichshafen ist) sowie bei AERO-Projektleiter Tobias Bretzel. Welche Idee steht hinter der fairnamic – und welche Vorteile bringt sie der Region?


Ein Joint Venture wie die fairnamic ist zwischen zwei Messegesellschaften durchaus ungewöhnlich – wie kam es dazu?
Stefan Reisinger: Als die Automobilmesse IAA von Frankfurt nach München abgewandert ist, bot uns das die Möglichkeit, mit der Messegesellschaft Frankfurt ein gemeinsames Projekt zu starten und die Eurobike auf ein größeres Messegelände mit internationaler Anbindung zu verlegen. Wir hatten eigentlich schon vor der Corona-Pandemie einen Plan für den Fall, dass die Eurobike in Friedrichshafen an ihre Grenzen stößt. Dann kam die Krise, das Messegeschäft stand zwei Jahre still – und wir wussten: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Mit neuem Konzept und starker Partnerschaft haben wir die Eurobike erfolgreich in Frankfurt neu aufgestellt. Gleichzeitig konnten wir mit der AERO ein weiteres Mobilitäts-/Zukunfts-Thema integrieren, was gleichfalls für die Messe Frankfurt sehr spannend war.
Stefan Mittag: Wir müssen auch ganz deutlich sagen: Die Eurobike, so wie wir sie über viele Jahre begleitet haben, hätte in Friedrichshafen langfristig keine Zukunft gehabt. Zum einen aus infrastrukturellen Gründen – die Eurobike war mit Abstand die Veranstaltung mit der größten Personenanzahl auf dem Gelände und in der Region, aber auch, weil sich das Produkt Fahrrad vom Sportgerät zum urbanen Mobilitätskonzept gewandelt hat. Dadurch hat sich auch das Selbstverständnis der Branche geändert und sie wollte zurecht politisch sichtbarer werden. Also hatten wir zwei Optionen: Entweder ein neues, passendes Konzept anbieten – auch an einem anderen Standort – oder riskieren, dass jemand anderes diese Rolle übernimmt. Da haben wir uns gesagt: Wir bleiben lieber am Steuerrad. Wichtig ist dabei, dass es sich hier nicht um einen Verkauf unserer Marke oder Veranstaltung handelt - oder einen reinen Standortwechsel. Stattdessen arbeiten wir in die Zukunft gerichtet und auf Augenhöhe gemeinsam in unserer Partnerschaft weiter.
Stefan Reisinger: Unser Credo war von Anfang an: „Eins und eins ergibt drei.“ Wenn sich zwei einig sind, jeder die Stärken des anderen zu schätzen weiß und man sich auf das konzentriert, was man richtig gut kann – dann kann aus so etwas eben auch mehr entstehen, als es mathematisch zunächst möglich scheint.
Wie waren denn die Reaktionen in der Messe-Branche auf die fairnamic?
Stefan Mittag: Am Anfang war es tatsächlich so, dass erstmal verstanden werden musste, was wir da tun. Vielleicht auch deshalb, weil diese Partnerschaft so ungewöhnlich war. Aber ich habe eigentlich keine negative Rückmeldung bekommen, sondern eher Respekt dafür, dass wir das so gewagt und gemacht haben. Und an der einen oder anderen Stelle sicherlich auch der Gedanke: „Warum habt Ihr das nicht mit uns gemacht?“

Und was macht die Zusammenarbeit zwischen Frankfurt und Friedrichshafen so besonders?
Stefan Mittag: Es gab bislang kein Vorbild für so eine Art des Joint Ventures. Wir sind quasi das Vorbild. Dass zwei Messegesellschaften, die ja eigentlich im Wettbewerb zueinander stehen, gemeinsam vorangehen, ist sicherlich ein Novum. Zumal wir zwei so unterschiedliche Unternehmen sind. Frankfurt ist ein Konzern mit starker internationaler Ausrichtung und großem internationalem Vertriebsnetz. Die Messe Friedrichshafen spielt als Messeunternehmen sicherlich in einer anderen Größenordnung, aber wir können dadurch eben auch sehr schnell und agil agieren. Das in einem Joint Venture zusammenzufassen, war etwas Neues – aber es hat sehr, sehr gut funktioniert. Das liegt sicherlich auch an den Menschen, die von vornherein das Ziel hatten, miteinander zu arbeiten und das Ganze zu einem Erfolg zu führen. Das haben wir geschafft und das schaffen wir auch weiterhin. Zusammenfassend kann man sagen: Es war eine richtig gute Idee für die Messe und die Region – auch wenn sie auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich ist. Und ich glaube, alle Beteiligten können stolz darauf sein, dass es funktioniert.
Welche Rolle spielen Friedrichshafen und Frankfurt jeweils in der fairnamic?
Stefan Reisinger: Friedrichshafen bringt die Branchenkompetenz und das Netzwerk ein. Wir begleiten die Fahrradbranche und die Branche der allgemeinen Luftfahrt seit Jahrzehnten und wissen genau, wie sie funktionieren. Dieses Wissen kann man sich nicht innerhalb kurzer Zeit erarbeiten oder zukaufen. Die Frankfurter steuern bei der Eurobike ihren Standort, ihre Infrastruktur und logistischen Vorteile und bei beiden Veranstaltungen ihr internationales Netzwerk bei.
Stefan Mittag: In das Geschäftsmodell der fairnamic fließen die Expertise, die Marken und das Team aus Friedrichshafen ein. Zudem bleibt der Standort des Unternehmens hier bei uns und die Messe Friedrichshafen übernimmt sehr viel zusätzliche Services – beispielsweise das Personalwesen, die Buchhaltung, aber auch die Kommunikation und das Marketing.
Was für Vorteile bringt die fairnamic dem Standort Friedrichshafen?
Stefan Mittag: Wirtschaftlich betrachtet bringt fairnamic der Stadt und der Region klare Vorteile: Das Unternehmen sitzt in Friedrichshafen, zahlt hier Gewerbesteuer und schafft Arbeitsplätze. Außerdem profitiert die Messe Friedrichshafen als Dienstleister für die fairnamic – etwa durch die Vermietung von Hallen und Flächen zur AERO sowie durch die Bereitstellung von Infrastruktur und die Erbringung von Services. Und die Messe Friedrichshafen ist mit 51 % am Joint Venture beteiligt. Das heißt, die fairnamic trägt zu einem nicht unerheblichen Teil auch langfristig zum finanziellen Ergebnis der Messe bei. Nicht zuletzt wurden die übrigen 49 % an die Messe Frankfurt verkauft – dies hatte einen erheblichen Liquiditäts- und Ergebniseffekt.

Und wie haben sich die Eurobike und die AERO durch die fairnamic entwickelt?
Stefan Reisinger: Die Eurobike hat in Frankfurt einen enormen Sprung gemacht. Sie belegt dort rund 50 Prozent mehr Fläche als in Friedrichshafen verfügbar und ist dank der zentralen Lage mitten in der Stadt noch attraktiver für Besucher. Außerdem haben wir das Konzept überarbeitet: Während der Endkundentag in Friedrichshafen eher das Anhängsel war, haben wir ihn in Frankfurt zu einem zweitägigen Festival mit zuletzt mehr als 33.000 Besuchern ausgebaut.
Tobias Bretzel: Und bei der AERO gehen wir in viele Gespräche mit einem durchgedrückten Rückgrat, weil wir bei Partnern und Ausstellern eine noch stärkere Internationalisierung und ein globales Vertriebsnetzwerk anbringen können. Gleichzeitig prüfen wir neue Märkte mit Potenzial. Für den Standort in Friedrichshafen bringen unsere Partner noch mehr internationale Aussteller zum Beispiel aus China. Und durch die Globalisierung der Marke AERO werden wir auch von zukünftigen Partnern auf internationaler Ebene ganz anders wahrgenommen.
Wie geht es mit der fairnamic in Zukunft weiter?
Stefan Reisinger: Die Internationalisierung ist für uns zentral – in beide Richtungen. Über die internationalen Tochtergesellschaften der Messe Frankfurt gewinnen wir neues Business für die AERO in Friedrichshafen und die Eurobike in Frankfurt. Gleichzeitig prüfen wir gemeinsam, welche Zukunftsmärkte Potenzial haben, und wo die Messe Frankfurt bereits vor Ort ist und /oder ihre Aktivitäten erweitern möchte und wir gemeinsam neue Märkte erschließen können. Die Eurobike hat mit der Asia Bike in Jakarta bereits einen ersten Schritt gemacht. Wir sind guter Dinge, dass wir auch in der Türkei bald eine Erstveranstaltung machen können. Außerdem schauen wir uns gerade intensiv den chinesischen Markt an, ebenso wie Indien. Da sehen wir großes Potenzial in der Zukunft. Die AERO wiederum hat schon vor der Gründung der fairnamic den Sprung nach Südafrika geschafft, aber zukünftig wird es auch eine AERO Asia geben, die wir in Partnerschaft mit den Kollegen in Frankfurt bzw. deren Tochtergesellschaft in China durchführen.
Stefan Mittag: Und genau hier nutzen wir die Stärke der Messe Frankfurt: Wir kennen manche Märkte eben nur aus der Ferne, aber nicht von innen. Dank der etablierten Tochtergesellschaften der Messe Frankfurt haben wir nun Zugang zu lokaler Expertise, die uns hilft, Märkte besser einzuschätzen und passende Partner zu finden.
Tobias Bretzel: Denn das ist auch entscheidend: Die Vertriebspartner kennen sich vor Ort wirklich aus und helfen uns, auch kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn bei einer internationalen Messe muss es auch immer eine gewisse lokale und regionale Adaption geben. Bei der AERO Asia spielt zum Beispiel das Thema Low-Altitude-Economy – also der ganze Bereich um Lufttaxen und nachhaltige Mobilität - eine Riesenrolle, die dort auch politisch vorangetrieben wird. Bei der AERO in Südafrika geht es dagegen auch darum, diese unglaublichen Distanzen mit Geschäftsfliegern überwinden zu können. Manche Bausteine sind natürlich auf der AERO Friedrichshafen ähnlich wie in China, aber es gibt eben auch diese regionalen, speziellen Einflüsse, die wir natürlich mit ins Messekonzept einbauen müssen und wollen.
Gibt es denn auch Pläne für weitere Kooperationen?
Stefan Reisinger: Bei der fairnamic wollen wir uns in erster Linie auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren: Mobilität, Sport und Lifestyle. Das sind die Themenfelder, in denen wir ganz viel Kompetenz, Wissen und ein gutes Netzwerk haben, mit denen können wir in der Zukunft auch noch viel erreichen. Bei der Eurobike 2025 gibt es beispielsweise erstmalig eine Adventure Area, die die Bereiche Bike, Outdoor und Travel umfasst. Denn Outdoor-Lifestyle und Bike-Abenteuer haben eine super Schnittmenge und wir sehen hier viel Potenzial – zumal wir gute Drähte in beide Branchen haben.
Stefan Mittag: Aus Messe-Sicht kann man sagen: Wir suchen nicht aktiv nach Kooperationen. Denn es ist und bleibt so, dass unser Fokus ganz klar darauf liegt, dass wir eine Messe für die Stadt und die Region sind. Auch die Entscheidung für die fairnamic war eine Entscheidung für die Region. Aber was wir daraus gelernt haben: Kooperationen können funktionieren, auch zwischen Messegesellschaften. Wenn wir also wieder in eine Situation kommen sollten, in der das sinnvoll für die Stadt Friedrichshafen und die Region erscheint, sind wir sicherlich die Ersten, die sagen: Wir denken darüber nach.
Aktuelles rund um die fairnamic
Weiterführende Informationen zur fairnamic und ihren Veranstaltungen finden sich auf den jeweiligen Homepages: